Zeltmeister im Tempodrom
Von Karin Schmidl
Der Cirkus Roncalli baut derzeit die Kulissen für sein Weihnachtsprogramm im Tempodrom am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg auf – unter der Regie von Patrick Philadelphia. Auftakt für den neunten Roncalli Weihnachtscircus ist am 19. Dezember.
Patrick Philadelphia atmet auf. Vier Stunden lang hatte er mit einem Dutzend Technikern versucht, die Bühne zu bewegen. Doch die rückte und rührte sich einfach nicht. Dann die befreiende Lösung: Nur zwei kleine Sicherungen waren kaputt. Jetzt hebt und senkt sich die Bühne wieder wie sie soll. Der 38-jährige Patrick Philadelphia ist Betriebsleiter im Circus Roncalli, der an diesem Wochenende im Tempodrom am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg seinen „Weihnachtscircus“ aufbaut. Zum neunten Mal. Am Mittwoch beginnt die Show.
Bis es soweit ist, herrscht in der Arena ein emsiges Treiben. Techniker befestigen schwere Kettenzüge an Motoren, die an einem Gerüst weit oben unterm spitzen Zeltdach hängen. Zehn Tonnen Last hält so ein Gerüst. Zudem werden überall Tannen aufgestellt und weihnachtlich geschmückt. Musik dröhnt aus Lautsprechern, die ausgerichtet werden, farbiges Licht blitzt aus verschiedenen Scheinwerfern.
Eine Zirkusdynastie
Patrick Philadelphia steht mittendrin. Als Betriebsleiter – im Zirkus sagt man auch Zeltmeister – ist er dafür verantwortlich, dass alles rechtzeitig an seinem Platz ist und sicher hängt oder steht. Seit 18 Jahren macht Philadelphia diesen Job. Der Name Philadelphia ist kein Künstlername. Eine Zirkusdynastie trug ihn.
Sein Ur-Ur-Ur-Großvater war im 19. Jahrhundert ein Magier, sein Großvater und Vater dressierten Tiere. Die Familie lebte jahrelang im Zirkus Krone, bis Patrick schließlich bei Roncalli landete. Seine Frau war dort Artistin, heute ist sie Trainerin. Wie er es als Kind tat, jongliert sein sechsjähriger Sohn am Rand der Manege mit Keulen und guckt sich Tricks bei den Artisten ab.
Und seine 17-jährige Tochter tritt in diesem Weihnachtscircus erstmalig mit einer Reifen-Nummer auf. „Einmal Zirkus, immer Zirkus“, meint Patrick Philadelphia und lacht. Es ist ein anstrengendes Leben, die Familie ist nur zwei Monate im Jahr daheim im Bergischen Land. Die restliche Zeit ist sie auf Tournee. Aber Patrick Philadelphia sagt: „Wir kennen es nicht anders. Und es ist schön, wenn man erwartet wird wie hier in Berlin, wo wir zuletzt fast 50.000 Besucher hatten.“ Da nehme man auch gern in Kauf, Weihnachten regelmäßig in der Manege und abends im Hotel zu verbringen.
Los Nablos und das „Todesrad“
Wenn die Show beginnt, ist für Patrick Philadelphia die Arbeit übrigens nicht getan. In weißer Reithose und rotem Frack begrüßt er dann die Gäste in der Manege. Dieser Job heißt „Sprech-Stallmeister“ und hat mit der Zirkustradition zu tun. Bei Roncalli gibt es – außer einigen Ponys – keine Tiere und deshalb auch keinen Stall. Doch der Begriff ist geblieben, er stammt aus dem 18. Jahrhundert, als arbeitslose Kavalleristen in England begannen, Besucher mit dressierten Pferden zu unterhalten.
Philadelphia begleitet im Kostüm auch die Artisten zu ihren Auftritten. „Dabei gucke ich gleich, ob alles noch in Ordnung ist.“
Bei einer Nummer wird er diesmal wohl besonders hingucken. Wenn die Los Nablos mit ihrem „Todesrad“ auftreten. Vier junge Artisten laufen durch zwei Riesenräder wie Hamster, die Räder sind durch eine Achse miteinander verbunden und drehen sich. Der Namen Los Nablos passe gut, findet Philadelphia: „Im Zirkusjargon bedeutet nablo so viel wie bekloppt.“ Wer so etwas mache, müsse bekloppt sein.
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